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Palais von Heespen – Wangelinsches Witwenstift – Rathaus

Palais von Heespen – Wangelinsches Witwenstift – Rathaus

 

Esens, eine geplante mittelalterliche Stadtanlage, war eine befestigte Stadt mit Burg, Wassergräben, Wallanlagen und Stadttoren. Aus der Frühzeit der Stadt existieren keine schriftlichen Zeugnisse, aber durch jüngere kunst- und baugeschichtliche Untersuchungen lässt sich Vieles vermuten.

Ab 1600 gehörte Esens zu dem ostfriesischen Grafenhaus Cirksena. Im Stadtbild von Esens befand sich in zu dieser Zeit östlich des Marktplatzes ein großes Gebäude, in dem der Kanzleidirektor, der höchste örtliche Beamte des Ostfriesischen Grafen, seinen Amts- und Wohnsitz hatte.

 

Kurz nach 1700 bekam Kanzleirat Wilhelm von Heespen diesen Posten und baute das bestehende Gebäude seines Vorgängers um. Diese völlig neue Gestaltung im Stil des nordischen Barocks ist bis heute im Wesentlichen erhalten geblieben und steht unter Denkmalschutz. Im Giebeldreieck prangt das Wappen der Familie von Heespen und über der Eingangstür seine Initialen, W v H.- Das Palais von Heespen

 

Als landesherrlicher fürstlicher Beamte bekleidete Wilhelm von Heespen sein Amt von 1703 bis 1708 unter dem Fürsten Christian Eberhard, dann unter dem 19-jährigen Fürsten Georg Albrecht und von 1734 bis zu seinem Tode 1742 unter dem letzten ostfriesischen Fürsten Carl-Edzard. Die Übernahme Ostfrieslands durch die Preußen zwei Jahre später erlebte er nicht mehr.

 

Wilhelm von Heespen war sehr wohlhabend und die Ausstattung seines Hauses dementsprechend. Seinen Salon ließ er unter anderem mit kostbaren flämischen Tapisserien ausstatten. Dieser Raum, heute als Ahnensaal betitelt, wurde 1980 aufwendig restauriert und in einen weitgehend ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Viele seiner Räume schmückte W. von Heespen mit einer umfangreichen Gemäldesammlung, von der jetzt noch ein Teil im Ahnensaal zu sehen ist. Ein stattlicher Rest der Gemälde wird im Museum „Leben am Meer“ aufbewahrt und in Ausstellungen gezeigt.

 

Der Eingangsbereich mit Treppenaufgang wurde vor einigen Jahren vollständig restauriert. Kunstvolle Wand- und Deckenmalereien konnten wieder ihrem Ursprung nachempfunden werden. Als Besonderheit gilt dort der Fußboden aus geschliffenen schwarzen und weißen Natursteinplatten, der in dieser barocken Form nur in adeligen Häusern im Nordseeküstenbereich zu finden ist. Auch diese Gestaltung stammt aus dem Umbau zum “Palais von Heespen“.

 

Adelheid Auguste von Heespen

Adelheid Auguste von Wangelin, die Tochter des Wilhelm von Heespen und seiner früh verstorbenen ersten Gattin, erbte nach dem Tod ihres Vaters den gesamten Besitz. Sie verpachtete das Palais von Heespen an den Nachfolger ihres Vaters, Kanzleirat Einfeld, Zu der Zeit lebte sie mit ihrem Ehemann, Christian von Wangelin, in Mecklenburg-Vorpommern.

 

Für das Gebäude in Esens plante sie in ihrem Testament ein Wohnhaus für berechtigte Witwen aus den Familien ihres Vaters (von Heespen), ihrer Mutter (von Tammena), ihrer Stiefmutter (von Oldenburg) und ihres Ehemannes, Christian von Wangelin, einzurichten: „Das Wangelinsche Witwenstift“. In einer Stiftungsurkunde legte Adelheid Auguste 1756 die juristische Konstruktion des Stiftes und eine Hausordnung für die Damen genau fest.

 

Die wirtschaftliche Absicherung erfolgte über zwei ererbte große landwirtschaftliche Güter, deren Erträge das Stift finanzierten. Die Urkunde wurde 1761, drei Jahre nach Adelheid Augustes Tod, von Friedrich dem Großen bestätigt. Ihre Stiftung existiert bis heute, jedoch stand der Unterhalt des alten Gebäudes mit den Jahren in keinem Verhältnis mehr zu den Einkommen aus den landwirtschaftlichen Gütern. Auch durch die geregelte Altersversorgung von Witwen war der Bedarf an Wohnungen im Stift stark zurückgegangen.

 

Zunächst wurden bereits im Krieg einzelne Räume an die Stadt Esens vermietet und als Rathaus genutzt. Im Jahr 1962 kam es zu folgender Einigung: Die Stadt errichtete am Herrenwall ein neues, schlichtes Stiftsgebäude und erhielt dafür das Gebäude am Marktplatz, welches nun gänzlich zum Rathaus umgebaut wurde. Im Zuge der Gebietsreform entstand in den 70er Jahren ein Anbau an der Nordseite, zusätzliche Räume für die Verwaltung der Samtgemeinde Esens.

Der mit wertvollem Mobiliar und Gemälden bestückte Ahnensaal wurde bis zu seiner aufwendigen Renovierung in den 80er Jahren als Ratssaal genutzt. Heute dient er als Trauzimmer und für festliche und kulturelle Anlässe der Stadt.

 

Als weitere Besonderheit im Rathaus gilt der Stammbaum der Ostfriesischen Grafen- und Fürstenfamilien Cirksena. Der Nachfolger W. v. Heespens, Mieter Einfeld, hatte ihn beim Abriss der Burg 1755 ersteigert. Er hing vorher in der Kapelle der Burg und dokumentiert die Verknüpfung der Herrscherfamilie mit anderen adeligen Häusern in Europa.

Der Stammbaum ist das einzig erhaltene Inventarstück der Burg. Nach einem „Irrweg“ über Aurich gelang es, ihn nach Esens zurückzuholen und an seinem alten Platz im Eingangsbereich zum Ahnensaal zu präsentieren. Er wurde mit vielseitiger Unterstützung restauriert und ist heute ein Prunkstück des Hauses.

 

Text: Axel Heinze, Esens

 

Öffnungszeiten
Donnerstag nachmittag (in Verbindung mit einer Stadtführung)

Rathaus, Am Markt 2-4

www.esens.de

360 Grad Panorama vom Ahnensaal