Das Witwenstift der Adelheid Auguste von Wangelin
Die Familien
In Mecklenburg, 60 km östlich der Landeshauptstadt Schwerin, mitten im Herzen der Mecklenburgischen Seenplatte, findet man auf der Landkarte zwei kleine Dörfer, deren Namen den Esensern vertraut vorkommen müssen: Hohen Wangelin und Klein Wangelin. Und in Esens gibt es seit Menschengedenken ein Wangelinsches Witwenstift. Hier besteht ein Zusammenhang!
Christian Friedrich von Wangelin (1682), ältester Sohn des Bernhard Ludwig von Wangelin (Schwedischer Major und Gutsherr auf Altschwerin), war als königlicher dänischer Generalleutnant der Infanterie in Oldenburg stationiert (Oldenburg gehörte damals zum dänischen Königreich). In Esens heiratet er 1728 die Adelheid Auguste von Heespen, Tochter von Wilhelm von Heespen (fürstlicher Kanzlei-Direktor des Harlingerlandes in Esens). Der Stammsitz der Familie von Heespen stand in Varel, sein Vater war in ähnlicher Funktion in oldenburgischen Diensten. So erklärt sich die Verbindung zwischen Esens und Mecklenburg.
Leider war die Ehe nicht von Glück gesegnet, der einzige Sohn starb früh, und 1755 verstarb Christian Friedrich von Wangelin in Altschwerin und wurde dort in der Kirche beigesetzt. Adelheid Auguste hatte zwei Erbschaften zu verwalten, das Erbe ihres Mannes in Mecklenburg und den Nachlaß ihres Vaters in Esens, denn ihre Geschwister waren alle vor ihr verstorben.
Der Besitz der Wangelins blieb in der Familie in Mecklenburg, aber aus dem Nachlaß ihres Vaters gründete sie in Esens ein Witwenstift für die weniger begüterten Witwen aus der Familie ihres Mannes, aus der Familie ihres Vaters und aus den Familien ihrer Mutter und ihrer Stiefmutter, unter deren Obhut sie im wesentlichen aufgewachsen war.
Das Haus
Kern der Stiftung war das stolze Haus am Markt in Esens, das ihr Vater zu seinem Amtsantritt um 1700 in Esens im Stil des Barocks hatte erbauen und einrichten lassen. Es ist auf den Grundmauern eines älteren Gebäudes errichtet, über das wir nichts mehr wissen. Da es die gesamte Ostseite des Marktplatzes einnimmt, muß es schon früh eine Bedeutung in der Stadt gehabt haben. Rathaus war es nicht, das alte Rathaus stand schräg gegenüber am Durchgang zur Kirche. Das Haus mit seinem Nebengebäude an der Marktstraße bot Platz für vier angemessene Wohneinheiten, zudem gab es einen Konventsaal, der besonders kostbar ausgestattet war und der für gemeinsame Veranstaltungen genutzt wurde. Durch das Stift wurde das Haus bis in unsere Tage nahezu unverändert erhalten, aber es wurde offenbar für die Stiftung doch zu kostbar, dieses alte Gebäude zu unterhalten. 1964 wurde das Haus an die Stadt verkauft, die es seitdem als Rathaus nutzt. Im Gegenzug wurde am Herrenwall ein Stiftsgebäude mit vier angemessenen Altenwohnungen, einem kleinen Konventsaal und einer Hausmeisterwohnung neu errichtet, so daß das Stift bis heute voll funktionsfähig blieb nach dem Willen seiner Stifterin.
Das Stift
In der Stiftungsurkunde hatte sie 1756 in Altschwerin die Konstruktion des Stiftes genau festgelegt. Die wirtschaftliche Absicherung erfolgte über zwei große landwirtschaftliche Betriebe und landwirtschaftliche Nutzflächen, deren Erträge das Stift finanzieren mußten und dieses bis heute auch geleistet haben. Stiftdirektoren wurden ein männlicher Sproß der Familien, der in Ostfriesland seinen Wohnsitz hatte und der Landessuperintendent der evangelischen Kirche in Aurich.
Berechtigte Witwen, deren Ehemänner mindestens den Kapitänsrang erreicht hatten, konnten einen Stiftsplatz beantragen und die Direktoren entschieden über die Aufnahme. Im Haus verfügte man dann über eine freie Wohnung in einem angemessenen Hause und ein kleines Taschengeld, so daß man standesgemäß leben konnte. Man mußte sich allerdings der gestrengen Hausordnung unterwerfen, die durch die Stifterin verfügt worden war. Die hausälteste Witwe hatte im Haus das Sagen und führte auch die Wirtschaft des Hauses. Wenn das Einkommen einer Witwe das gesetzte Limit überschritt, mußte der Platz geräumt werden.
Die Stiftsdamen
Wer waren nun die Damen im Stift und welche Rolle spielten sie in der Stadt? Ältere Bewohner aus Esens können sich noch aus ihren Kindertagen an die vornehmen Damen erinnern, aber eine besondere Rolle haben sie kaum gespielt. Viele haben lange Jahre hier in Esens verbracht, in dem schönen Haus am Markt, sicherlich eine Bereicherung für das städtische und kulturelle Leben in Esens. Mit Hilfe der Familie von Wangelin ist es gelungen, die Geschichte einer Bewohnerin nachzuzeichnen mit Dokumenten und Fotografien, das Stift erfüllt noch heute die Aufgabe, die ihm seine Gründerin zugedacht hat.
Die Gemäldesammlung
Neben dem Haus selbst hat das Stift noch ein besonderes kulturelles Erbe in der Stadt erhalten. Wilhelm von Heespen hatte sein Haus im Stil der Zeit mit einer reichen Gemäldesammlung ausgestattet, wie es im Barock üblich war. Von den ursprünglich über hundert Bildern sind rund siebzig erhalten geblieben. Ein Teil davon ziert heute noch den Ahnensaal, ein großer Teil wurde dem Heimatmuseum als Leihgabe zur Verfügung gestellt, um die Vielfalt der barocken Bilderwelt zeigen zu können. Es kann immer nur ein Teil der Bilder gezeigt werden, die heute durch eine kunsthistorische Untersuchung erschlossen sind.
Wir danken dem Wangelin-Stift für die vertrauensvolle Mitarbeit und der Familie von Wangelin für die Unterstützung durch Rat und wertvolle Leihgaben, die die Geschichte lebendig werden lassen.
Literatur
Axel Heinze und Werner Tarras: Ein adliges Witwenstift in preußischer Zeit
Anette Kanzenbach: Die Gemäldesammlung des Wangelin-Stifts
in: Als Friesen Preußen waren