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Das Rathaus in Esens – ein Haus voller Geschichte

1_Rathaus_a_Adalbert-OldewurtelEsens ist eine geplante mittelalterliche Stadtanlage: Ein Straßenviereck um den mächtigen Kirchplatz, ein Straßen-Marktplatz in der südwestlichen Straße und ein mächtiges dominierendes Gebäude an der Ostseite dieses Marktes. Rathaus wurde dieses Gebäude aber erst 1965. Wir haben keine schriftlichen Zeugnisse über die Frühzeit der Stadt. Aber vieles lässt sich an diesem Haus ablesen. Entlang der Marktseite ruht es auf einem mächtigen mittelalterlichen Gewölbekeller, der sicher bereits in der Frühzeit angelegt wurde. An der Nordwand sind Spuren von Renaissance-Mauerwerk aus dem 16. Jahrhundert zu beobachten. Wer aber dieses Haus erbaut oder in der Zeit bewohnt hat, ist unbekannt. Auch ein Steinhaus eines Häuptlings ist denkbar. Ab 1600 gehörte Esens dem ostfriesischen Grafen. Für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts ist der damalige Kanzleidirektor, der höchste örtliche Beamte des Ostfriesischen Grafen als Besitzer nachweisbar.

 

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Alte Stadtkarte Esens

Sein Nachfolger Wilhelm von Heespen erwirbt aus dessen Nachlass das Gebäude und gestaltet es im Stil des nordischen Barocks völlig neu. Diese Gestaltung ist bis heute im Wesentlichen erhalten. Im Giebeldreieck prangt sein Wappen und über der Tür seine Initialen. Foto: 4 Ahnensaal

Der Ahnensaal mit seinen flämischen Tapisserien geht auf diesen Umbau zurück, er wurde 1980 aufwendig restauriert und in einen weitgehend ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Von Heespen legte auch die umfangreiche Gemäldesammlung an, von der noch ein Teil im Ahnensaal zu sehen ist, der Rest wird im Museum Leben am Meer bewahrt und in Ausstellungen gezeigt.

 

 

 

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Foyer

Auch das Treppenhaus im Inneren wurde vor wenigen Jahren vollständig restauriert. Eine Besonderheit ist der Fußboden im Eingangsbereich aus geschliffenen schwarzen und weißen Natursteinplatten, der in dieser Form nur in den Dielen adeliger Häuser im Nordseeküstenbereich im Barock zu finden ist. Er stammt ebenfalls aus der Zeit dieses Umbaus.

 

 

 

 

 

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Wilhelm von Heespen, 1703
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Adelheid Auguste von Heespen, 1728

Nach dem Tode von Heespens erbte seine Tochter Adelheit Auguste von Wangelin den gesamten Besitz und verpachtete das Haus mit dem vollen Inventar zunächst an den Nachfolger ihres Vaters Einfeld. Testamentarisch bestimmt sie, dass nach ihrem Tode in dem Haus ein Witwenstift für mittellose Witwen aus den Familien ihres Vaters, ihrer Mutter, ihrer Stiefmutter und ihres Ehemannes eingerichtet werden sollte, das Wangelinsche Witwenstift. Im Haus wurden vier Wohnungen eingerichtet, anspruchsberechtigte Damen konnten die Aufnahme  beantragen und erhielten dann eine kostenlose Wohnung sowie ein Taschengeld, von dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Finanziert wurde das Stift durch den umfangreichen Grundbesitz aus dem Nachlass von Heespens.

 

 

 

 

 

 

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Stiftungsurkunde

Dieses Witwenstift existiert bis heute, allerdings gibt es bereits lange dank der geregelten Altersversorgung keine berechtigten Witwen mehr aus den Familien. Der Unterhalt des alten Gebäudes wurde der Stiftung zu teuer.

Zunächst wurden bereits vor dem Krieg einzelne Räume an die Stadt Esens vermietet und 1967 einigte man sich auf einen Deal: Die Stadt errichtet am Herrenwall ein neues Stiftsgebäude und erhielt dafür das Heespensche Palais am Markt. Es wurde zunächst innen für die Nutzung als Rathaus umgestaltet und in den 60-er Jahren mit einem Anbau erweitert. Der Ahnensaal wurde bis zu seiner Renovierung in den 80er Jahren als Ratssaal genutzt, heute dient er als Trauzimmer oder für feierliche Anlässe der Stadt.

 

 

 

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Stammbaum der Cirksena

Eine Besonderheit im Rathaus ist der Stammbaum der Ostfriesischen Grafen und Fürsten der Cirksena im Vorraum des Ahnensaals. Der Mieter Einfeld hatte ihn beim Abriss der Burg 1755 ersteigert, er hing vorher in der Kapelle der Burg und dokumentiert die Verknüpfung der Häuptlingsfamilie mit anderen adeligen Häusern in Europa. Er ist das einzige erhaltene Inventarstück der Burg. Einfeld hatte ihn bei seinem Auszug hängengelassen, so geriet er in den Besitz des Wangelinschen Witwenstifts. Nach einem Irrweg über Aurich gelang es, ihn nach Esens zurück zu holen und an seinem alten Platz zu installieren. Er wurde mit vielseitiger Unterstützung restauriert und ist heute ein Prunkstück im Rathaus.

 

 

 

 

Fotos:            Klaus Händel, Anzeiger für Harlingerland, Ostfriesisches Tageblatt

Archiv Detlef Kiese

Adalbert Oldewurtel

Text: Axel Heinze, Esens